Minimal Art: Prof. Dr. Christina Weiss

(c) Foto Jan de Weryha 10. Juli 2016

[…] Künstlerisch ist der prägende Einfluss der amerikanischen Minimal Art, besonders der frühen Skulpturen von Carl Andre aus den 60er Jahren, unübersehbar. Es ist die Verwandtschaft im gestalterischen Denken, die beide Künstler verbindet.

Carl Andre denkt struktural und bemüht sich konsequent um die Rückführung auf Primärstrukturen. Er will weg von der durch den Künstler erfundenen Form, um erst recht weg von der kompositorischen Hierarchie und künstlerisch-individuellen Handschrift. Oder, wie Sol LeWitt formulierte: „Die Form selbst ist von sehr begrenzter Bedeutung, sie wird zur Grammatik der gesamten Arbeit.“

Auf den ersten Blick möchte man Jan de Weryha als späten europäischen Vertreter der Minimal Art bezeichnen. Doch schauen wir genauer hin, dann wird deutlich, dass Jan de Weryha dann doch Ansprüche hat, die denen der Minimal Art extrem entgegenstehen. Bei ihm stehen die Natur und die natürliche Beschaffenheit des Materials im Mittelpunkt seines Schaffens. Die natürlichen Vorgaben treffen bei ihm mit dem rationalen Gestaltungswillen zusammen. Die reine Form der Minimal Art wird von ihm in zweierlei Hinsicht wieder aufgeladen. Zum einen vermeidet er nicht die individuellen Bearbeitungsspuren des Holzes durch industrielle Fertigung, sondern stellt sie ganz in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Motorsäge, Axt und Stechbeitel hinterlassen sehr differenzierte Oberflächen. Außerdem liebt er es, seine durchaus minimalartigen Formationen ganz bewusst an Grundmustern der Natur wie Ameisenhaufen, Bienennestern oder an archaischen Konstruktionen auszurichten: Iglu, Säule, Turm oder schlichte Stapelungen wie zum Trocknen von Hölzern tauchen immer wieder auf.

In Jan de Weryhas Arbeiten sind die Natur und die natürliche Beschaffenheit des Materials Ausgangspunkt für die Entwürfe und die Gestaltungsprozesse. Seine Arbeiten leben aus der Konfrontation von Bearbeitetem und Unbearbeiteten, Berührten und Unberührten. Zugleich enttäuscht er bewusst die Erwartung des Betrachters, der gewohnt ist, die bearbeiteten Seiten einer Skulptur gegenüber der vermeintlich unbearbeiteten Seite vorzuziehen. […]

Prof. Dr. Christina Weiss, Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland a.D.

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